Die Literatur der Osmanen

Veröffentlicht auf von Kahveci



Diwan Süleymans des Prächtigen
Die Verse des poetischen Werkes (Diwan), das von Sultan Süleyman I. (reg. 1520-1566) verfasst wurde, werden durch prachtvoll illuminierte Felder abgesetzt. Stilisiertes Blattwerk und Blumenmotive in mehreren Farben und in Gold schmücken den Grund.

Süleyman I. (Text), Muhammad al Sharif (Kalligraf), Karamemi (Illuminator), Prachthandschrift (Divan-ı Muhibbi), illuminierter Unvan, Blatt 1-2 von 371 Blättern, 1566. Istanbul Üniversitesi Rektörlügü, Istanbul (Inv. T 5467)
© Istanbul Üniversitesi Rektörlügü, Istanbul



Die Literatur der Osmanen
Die türkisch-osmanische Sprache
Da seit dem Aufstieg der Dynastie Osmans zur Großmacht die Türken die ethnische Mehrheit im Osmanischen Reich bildeten, wurde das osmanische Türkisch - einer von sieben türkischen Dialekten - in Anatolien zur dominierenden Mundart. Doch war es nicht nur die allgemeine Umgangssprache, sondern gleichzeitig die offizielle Amts- und Schriftsprache. Bei den Osmanen waren zudem das Arabische, als die Sprache des Korans, sowie das Persische, als Sprache der Dichtkunst, und von Bedeutung. Insbesondere von den Literaten wurde die Beherrschung dieser Sprachen gefordert, so dass große Teile von deren Wortschatz Eingang ins Osmanische fanden. Dieses mit Arabisch und Persisch durchsetztes Türkisch betrachteten die Osmanen als außerordentlich kultiviert.

Die türkisch-osmanische Literatur
Zentren der Bildung und somit der literarischen Produktion waren Hochschulen und Bibliotheken. Auch im Umkreis des großherrlichen Hofes bildeten sich zahlreiche vom Padischah geförderte literarische Zirkel heraus. Viele der in ihnen verkehrenden Autoren und Literaten gehörten zur Oberschicht und waren Amtsträger, “Leute der Feder“ (kalemiye), d.h. Richter, Hochschullehrer oder Kanzleibeamter. Zudem hatte ein relativ großer Teil der osmanischen Bevölkerung eine Schule besucht und war des Lesens und Schreibens kundig. Zudem hatte ein relativ großer Teil der osmanischen Bevölkerung eine Schule besucht und war des Lesens und Schreibens kundig.

Die Glanzzeit der osmanischen Literatur, die "osmanische Klassik", bildete das 16. und 17. Jh. Nach einer letzten Blüte während der Tulpenzeit orientierte sich das Genre im 18. und 19. Jh. entsprechend der allgemeinen Europäisierung des geistigen Lebens immer stärker an westlichen Literaturformen. So fanden z.B. Roman und Novelle nun Eingang ins Osmanische Reich.

Innerhalb der osmanischen Literatur lassen sich drei generelle Richtungen ausmachen: die höfische Literatur mit Kunstprosa und Lyrik, ein religiös-mystisches, größtenteils poetisches Schrifttum und eine volkstümliche Dicht- und Erzähltradition.

Die höfische Lyrik (divan edebiyati)
Die Dichtkunst wurde als führende Gattung der klassisch-osmanischen Hochliteratur angesehen. Zahlreiche Sultane waren auch selbst literarisch tätig, z.B. Süleyman I. (reg. 1520-1566), der Prächtige, unter dem Dichternamen Muhibbi (der Liebende). Er verfasste zahlreiche Gedichte, nur ein einziger zeitgenössischer Dichter soll produktiver gewesen sein als der Großherr selbst.

Im 16. Jh. widmete sich die Lyrik am Sultanshof nicht mehr religiösen Themen wie noch in früherer Zeit, sondern war eine verweltlichte Kunstform. Sie orientierte sich sprachlich und stilistisch eng an persischen und arabischen Vorbildern. Gelegentlich beschränkte sich das türkischsprachige Element in der Dichtung auf 10 Prozent des Vokabulars. Für die Dichtkunst war eine strenge sprachliche Stilisierung charakteristisch. Zum einen gab es eine spezifische Metrik (aruz), einen Versrhythmus mit einer bestimmten Abfolge von langen und kurzen Silben. Zum anderen war der korrekte Ausdruck und eine angemessene Rhetorik gefordert. Daher bediente man sich einer poetisch-bildhaften Sprache, doch der Wortschatz bestand lediglich aus einigen hundert Schlüsselwörtern. Nicht Innovation und Neuformulierung waren gefragt, sondern die virtuose Variation traditioneller sprachlicher Motive in geistreichen Wortspielen. Diese formale Ästhetik führte zu einer Künstlichkeit der Sprache, die nur mehr den Gebildeten verständlich war.

Die wichtigsten Gedichtformen waren "ghazel" und "mesnevi". Das "ghazel", ein kurzes Strophengedicht aus 5-12 Doppelversen, meist ein Liebesgedicht, war in Länge und Reimschema dem europäischen Sonett vergleichbar. Das "mesnevi" hingegen, ein episches Gedicht, bestand aus mehreren tausend im Paarreim geschriebenen Doppelversen. Die "mesnevi"-Form wurde für romantische Helden- oder die Königsepen verwendet. Letztere, die "şahname" (Königsbücher), dienten vorwiegend der Verherrlichung der Taten der Sultane. Einer der berühmtesten epischen Dichter war Seyyid Lokman am Hofe Selims II. (reg. 1566-1574).

Für Aphorismen über verschiedene Themen wie Wein, Liebe, Mystik, Weltschmerz benutzte man einen Vierzeiler (ruba’i), bei dem sich die ersten beiden Zeilen reimten. Beliebt war auch die Kasside (qaside), eine Art Ode oder Elegie, ein längeres Preis-, Lob- oder Schmähgedicht, das zu verschiedensten Anlässen verfasst werden konnte und bei dem alle Verse auf demselben Reim endeten.

Besonders schätzten die Osmanen Diwane (divan), zusammenhängende Gedichtsammlungen eines einzigen Dichters, vorzugsweise der alten Meister. Daher wird die höfische Lyrik auch als Diwan-Dichtung bezeichnet.

Das Themenrepertoire der Lyrik war beschränkt. Eines der wichtigsten Sujets war die Liebe - sowohl die irdische, als auch die göttlich-mystische, vergeistigte - und die damit zusammenhängende Gefühls- und Erlebniswelt. Die am häufigsten in den Gedichten auftauchenden Begriffe waren: "can" (Seele, Leben), "schah" (Herrscher), "deil" (Herz), "’ischq" (Liebe), "gönül" (Herz), "yyüz" (Gesicht), "cihan" (Welt), "yar" (Geliebte, Geliebter), "ah" (Seufzer), "göz" (Auge), "gam(m)" (Kummer) und "mah" (Mond).

Die berühmtesten Liebesepen im Osmanischen Reich waren die arabische Erzählung von den Beduinenkindern Medschnun und Leila, die im 16. Jh. von Fuzuli (gest. 1556), dem wohl größten türkischen Lyriker, neu geschrieben wurde, sowie das Epos vom “König und Bettler“ aus der Feder des bekannten Poeten Yahya Beğ (16. Jh.), in dem es um die selbstlose Liebe eines frommen Gelehrten zu einem schönen Jüngling geht. Als Meisterwerk osmanischer Dichtung galt auch die von Fazli (gest. 1563) stammende Liebesromanze “Rose und Nachtigall“.

Ein prominenter Vertreter der höfischen Lyrik im 16. Jh. war auch Baqi (1526-1600), den man zu Lebzeiten “König der Dichter“ nannte. Sein berühmtestes Werk war eine Ode auf den Tod Süleymans I. (reg. 1520-1566), des Prächtigen. Zu den herausragenden Dichtern des 17. Jh. zählte Nef’i, der auch zugleich der größte türkische Satiriker war. Mit seinen „Schicksalspfeile“ genannten Satiren verspottete er die großen Männer seiner Zeit. Schließlich kostete ihn seine bittere Ironie das Leben. Als er den amtierenden Großwesir beleidigte, ließ dieser ihn 1635 strangulieren. Am Ende der klassischen Periode der osmanischen Literatur stand der Lyriker Nabi (gest. 1712). Die zierliche Liebespoesie Nedims (gest. 1730), der von den Zeitgenossen außerordentlich geliebt wurde, gehört bereits in die Tulpenzeit.

Die Prosaliteratur
Nach dem Aufblühen der Dichtung im 16. Jh. erstarkte auch die - vorwiegend in osmanischem Türkisch verfasste - Prosaliteratur. Auch in der Kunstprosa unterschied man eine Fülle von Gattungen. Ihr Stil war, wie bei der Lyrik, durch allerlei Vorschriften reglementiert. Doch neben der stilistischen Kunstfertigkeit und Formalisierung kam es den Literaten hier auch auf die Verständlichkeit der Sprache an, sie wollten ihr Publikum erreichen.

Bei den Osmanen existierte ein umfangreiches Informationsschrifttum. Man besaß eine Vorliebe für enzyklopädische und lexikalische Sammelwerke. Die größte Enzyklopädie des gesamten Orients war der osmanische “Schlüssel der Glückseligkeit“, eine zusammenfassende Darstellung sämtlicher Wissenschaften des Autors Taşköprüzade Ahmet b. Mustafa (1495-1561), gefolgt von den “Resultaten der Wissenschaften“ des Nev’i (gest. 1599). Zahllose Traktate widmeten sich auch den weltlichen Wissenschaften wie Geografie, Astronomie, Medizin, Musik etc. Zudem gab es eine umfangreiche theologisch-juristische Literatur. Hierhin gehörten auch die Gesetzbücher (kanuname), welche die Sultane erließen.

Von literarischer Bedeutung war selbst die sog. Epistolographie, das offizielle Schrifttum der großherrlichen Kanzeleien, die Staatsschreiben, Erlasse und Diplome der Sultane mit ihrer vollkommenen Rhetorik.

Unter den Erzählwerken ragten Biografien, vor allem Lebensbeschreibungen von Dichtern, heraus sowie Reiseberichte, die volkskundliche, historische oder topographische Exkurse enthalten konnten. Das größte Reisewerk ist das “Reisebuch“ (seyahatname) des Evliya Çelebi (1610-nach 1679), der das Osmanische Reich und seine Nachbarländer 40 Jahre lang durchreiste.

Besonders hervorzuheben ist die Geschichtsschreibung (Historiografie), deren Anfänge in die Zeit Murats II. (reg. 1421-1451) fiel. Die Abstammungsgeschichten (Genealogien), die in mythischer oder religiöser Vorzeit begannen und bis in die Gegenwart reichten, betteten die zeitgenössischen Geschehnisse um die Dynastie der Osmanen in den Lauf der Weltgeschichte ein und dienten der Legitimation der Sultane. Die Chroniken schilderten historische Ereignisse, z.B. Feldzüge, in zeitlicher Abfolge. Selbstverständlich rapportierten die Geschichtsschreiber die vom Sultan sanktionierte Version von Geschichte, und ihre Intention erschöpfte sich meist im Lobpreis der großherrlichen Taten. Das namhafteste historiografische Werk, die “Krone der Geschichten“, eine Reichsgeschichte von der Staatsgründung bis zum Tode Selims I. (reg. 1512-1520), stammte vom Chronisten Hodscha Sa’eddin Mehmet (1536-1599). Von ihm ist überliefert, dass er auch selbst in den Verlauf der Geschichte, die er niederschrieb, eingriff. In der Schlacht von Mezókeresztes, soll er 1596 Sultan Mehmet III. (reg. 1595-1603) an der Flucht gehindert und so zum Sieg der Osmanen beigetragen haben.

Die Religiöse Literatur
Bei der religiösen Literatur handelte es sich größtenteils um Derwischpoesie, sog. "tekke"-Dichtung. Zu dieser gehörten vor allem religiöse Lieder, die in Zusammenhang mit dem Sufitum und der Mystik standen und Gottesliebe und Frömmigkeit thematisierten. Der berühmteste "tekke"-Dichter war Yunus Emre (um 1400). Auch die Gedichte des Mystikers Nesimi (gest. 1417), der wegen seiner umstrittenen Schilderungen der Gottesliebe grausam hingerichtet wurde, reflektierten tiefempfundene Religiosität. Weitere religiöse Schriften waren Erzählungen vom Weltenende, Heiligenlegenden und Prophetenbiografien.

Die Volksdichtung
Die volkstümliche Dichtung nahm sich religiösen, öfter jedoch weltlichen Themen, vorzugsweise der Liebe an. Vorgetragen wurde die in allen Volksschichten verbreitete Dichtung von fahrenden Volkssängern (uzan), die oft ebenfalls einem Derwischorden angehörten und sich “Liebende [Gottes]“ (aşık) nannten. Diese begleiteten sich selbst auf der Laute (saz). Einige dieser Liebeslieder aus dem Volksmilieu, aus der Feder von berühmten Dichter-Barden des 16. und 17. Jh., z.B. von Karacaoğlan, werden noch heute aufgeführt.

Daneben kannte die Volksliteratur - oft als Mischung von Prosa- und Versteilen - Balladen, die Geschichte und Zeitgeschichte in lobender, satirischer oder trauriger Form behandelten sowie Märchen, Anekdoten, Legenden und Sprichwörter. In Zusammenhang mit den volkstümlichen Erzählungen steht auch das Volksschauspiel, vor allem das satirisch-komische Schattenspiel Karagöz.

Veröffentlicht in Literatur Cafe

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